Großräschen in der Lausitz
Ein schöner Tag, der 04. Dezember 2019 in der Lausitz. Keine Wolken am Himmel, die Sonne strahlt nach vielen Regentagen und in eine Winterjacke gehüllt ist der Spaziergang auch fühlbar mollig warm und macht Spaß. Heute tauchen wir ein in die Natur und befassen uns mit Architektur, wir lassen den See auf uns einwirken und besichtigen das Bauwerk auf dem Aussichtshügel Victoriahöhe. Victoria lautet in der deutschen Übersetzung bekanntlich Sieg. Ein Sieg über wen oder was soll mit diesem Namen kolportiert werden? Welche Idee der Stadtplaner fand zu dieser Namensgebung? Eine siegreiche Brikettfabrik, die anno dazumal an dieser Stelle mal stand und Victoria hieß? Oder stand auf dem Hügel hier oben einst der honorierte Generaldirektor der örtlichen Tagebaufirma Herr Gottlob Schuhmann, mit Blick auf seine Tagebaubagger und das vor seinen Augen befindliche große Erdloch? Dieser Mann hat bis heute einen besonderen Status in der Lausitz. Die Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg verleiht seit 1999 alljährlich den „Gottlob Schuhmann Preis“.
Er stand auf dem Hügel und konnte zusehen, wie seine Bergleute einen schönen Stadtteil von Großräschen wegbaggerten (so sagen es die Leute hier) und sein wirtschaftliches Handeln hatte einst der Region einen bescheidenen Wohlstand beschert. Und der Stadt in der Spätfolge einen See und einen Hafen gebracht, wenn auch im Kleinformat. Ein Kompliment gebührt den Stadtplanern – und wer noch alles an diesem Terraforming jüngster Zeit teilgenommen hat, die Aufgabe war Komplex in den Vorgaben. Eine Struktur aus dem Boden zu stampfen, die andernorts über Jahrhunderte wachsen konnte.
Der relativ steile Aufstieg zur Victoriahöhe betrachtet sich wie eine Ski-Schanze; Rodelspaß pur. Wer mit seinem Schlitten in die Böschung triftet landet allerdings im Findling-Feld. Offensichtlich hätte man die Allee der Steine noch einige Kilometer weiterführen können, aufgrund der Menge an Steinen, die hier tonnenschwer zusammengerollt wurden. Von weiter oben schaut so ein Steinbrockenfeld doch irgendwie landschaftlich hübsch aus. Wir nähern uns dem Blechkasten auf der Victoriahöhe von der Seeseite über das winterliche Gestrüpp. Das Bauwerk trägt laut Gemeindeaushang den Namen „SeePanorama“. Beim ersten Anblick könnte man denken, es handele sich um einen militärischen Aufklärungsposten in der Normandie, die Light-Version davon, oder ein Stück Baggerabfall, vergessen abzutransportieren. Welche Eigenschaften muss ein Aussichtsturm haben? Ein erhabener Blick über den See und eine zum Verweilen einladende Plattform, die man auch zu jeder Jahreszeit sicher betreten kann. Der Blick über den See ist schön, Wasser, das Element der Ruhe, der innerlichen und äußerlichen Reinigung, die Erhabenheit dieses mächtigen Elements. Die Balustrade ist zu hoch und wirkt klobig, aufgrund des Materials wird der See für die gute Sichtung undurchlässig. Der Seegast kann auf der Aussichtsplattform nicht die volle Wirkung des Sees wahrnehmen, spüren. Und man steht mit einem Fuß immer in der linken Schräge des Aufgangs und mit dem rechten Fuß zum Abgang, nimmt man den architektonisch erwünschten Weg nach oben. Zum Verweilen ist dort oben kein Anreiz. Die Flächen des Bauwerks sind bei Eis und Schnee nicht gestreut, informieren überall im Park-Bereich Hinweisschilder. Kunst muss man verstehen, braucht man aber nicht. Das jetzige „SeePanorama-Bauwerk“ ist sicher nicht von Ewigkeit geprägt. Vielleicht wird im Jahr 2030 oder später ein Künstler des Weges kommen, wenn Großräschen sich zum Badeort – und schön wäre es zum Segelzentrum – entwickelt hat, der seine Werke stilvoll, architektonisch klug und langfristig auslegt und mit dem wiederverwerteten Blech der Version 1.0 in Streifen geschnitten, die Allee der Rutschbahnen weltprämiert; eine Kinderallee für Großräschen. Nachdem die Victoriahöhe eine neue, zum Beispiel maritim nostalgische Schiffsbrücke erhält. Auf der sich Seegäste wie echte Kapitäne fühlen. Kreise in Blech gestanzt sind noch keine Bullaugen.
Schutzhafen und Außenhafen erläutert eine im Blechkasten angebrachte Grafik, die Stadtplaner haben wirklich groß gedacht, so dass neben der Autofähre nach Genua die am Landungssteg vor Anker geht, auch eine AIDA im äußeren Teil des Hafens Platz zum Ankern hätte; in dessen Folge 4000 Kreuzfahrt-Touristen durch Großräschen strömen und alle Geschäfte leerkaufen. Das wäre eine Gaudi.
Von der Victoriahöhe aus sieht man Alma, die neue Sonnensiedlung. Drei Straßen mit hübschen Häuschen am See. Hier wohnen Menschen, die in einer räumlichen Ästhetik nach innen und/oder nach außen leben wollen. Die Siedlung wirkt ein bisschen wie ein Präsentierteller, durchaus eine Bühne mit Prestige-Charakter. Das romantischste Haus ist die Nummer 16. Einige Häuser haben Ähnlichkeit mit Schuhkartons und wieder andere sind hübsch. Andere Häuser sind schlichtweg nur geschmacklich verbaut. Früher war die Wohnsiedlung für gesellschaftlich gehobene Menschen im Norden von Großräschen, ein Spaziergang die Friedhofstrasse entlang; nach der Kreuzung zum Neubaugebiet. Dort stehen sogar noch Straßenlaternen aus der DDR-Zeit. In dieser Siedlung lächeln einige Bewohner über die neuen Siedler der Sonnensiedlung.
Begleiten Sie uns zurück zum Hotel. Nun folgt die Fortsetzung der Gebäude-Expedition. Das Foyer, die Lobby unseres Hauses mit Wappen und DIVA 1, unserem Messingkronleuchter. Der 20 Stunden am Defibrillator hing, bis er wieder sichtbar wurde. Ein großes Dankeschön an den Hersteller von diesem Produkt.